Bischof Tamàs Fabiny (58) ist einer von drei ungarischen Bischöfen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn und Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes (LWB). Als LWB-Ratsmitglied nimmt er an der derzeit in Windhuk, Namibia, tagenden LWB-Vollversammlung teil. Die Zwölfte LWB-Vollversammlung findet unter dem Thema „Befreit durch Gottes Gnade“ vom 10. bis
Seit 2010 ist in Ungarn die konservative Fidesz-Partei unter Ministerpräsident Viktor Orbàn an der Macht. Seitdem schottet sich das Land immer mehr von seinen europäischen Nachbarn ab. Auch im Inneren gab es deutliche Veränderungen, wie zum Beispiel die Einschränkung der Pressefreiheit. Wie gehen Sie als evangelisch-lutherische Kirche damit um?
Bischof Tamàs Fabiny: Die Fidesz-Partei hat 2010 mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen. Ein sehr eindeutiges Ergebnis, das für das Land aber nicht gut war. Orbàns Vorgänger war ein Postkommunist, der sich unverschämt gebärdet hat. Für mich war Orbàn deshalb zunächst eine gute Alternative. In Radiointerviews habe ich es zwei Wochen vor den Wahlen so formuliert: Ich warte auf eine Zeit, in der ich Kritiker einer konservativen Regierung sein kann. Damit habe ich ein Signal gegeben, dass ich auf einen politischen Wechsel hoffe, gleichzeitig aber diese Regierung kritisch im Auge behalten werde. Und kritisieren musste ich leider bald.
Was war der Anlass?
Bischof Tamàs Fabiny: Ein neues Religionsgesetz. Damals gab es etwa 300 Kirchen im Land, viele davon waren eher Firmen, „Kirche“ nur ein Deckname. Eine Beschränkung war also eigentlich nötig. Dass aber das Parlament festlegt, was eine Kirche ist, das geht nicht. Damit kontrolliert der Staat die Kirchen.
Und dann kam die Flüchtlingskrise?
Bischof Tamàs Fabiny: Genau. Das war 2015. Die Regierung hat mit einer Plakatkampagne die Angst vor den Flüchtlingen geschürt: Terroristen kämen ins Land, die Flüchtlinge nähmen den Ungarn die Arbeitsplätze weg. Das musste ich kritisieren. Als die Flüchtlinge dann zu Tausenden am Ostbahnhof in Budapest festsaßen, bin ich mehrmals dort gewesen. Ich bin auch demonstrativ mit unseren Partnern, einmal mit Bischof Heinrich Bedford-Strohm aus Bayern bei den Flüchtlingen gewesen. Und auch der Württembergische Bischof Frank Otfried July, die Vizepräsidentin des LWB für die Region Nordische Länder, Helga Haugland Byfuglien, und ich waren auf Solidaritätsreise. Wir haben versucht, den Flüchtlingen mit einem menschlichen Antlitz zu begegnen.
Sie haben sich also als evangelische Kirche ganz offen gegen die ungarische Regierung gestellt?
Bischof Tamàs Fabiny: So würde ich das nicht sagen. Unser Ziel, unser Auftrag war klar: Den Flüchtlingen helfen. Wenn die Regierung das als Gegnerschaft verstanden hat, ist das ihr Problem. Problematisch könnte sein, dass die Regierung die finanzielle Unterstützung der Kirche zurückfährt. Es wäre ein willkürlicher Vorgang und für uns schmerzlich.
Was würden Sie tun, sollte die ungarische Regierung wirklich so weit gehen?
Unsere Position werden wir nicht aufgeben. Wir versuchen, mit der Regierung zu diskutieren und klar zu machen, dass die Flüchtlingshilfe unser eindeutiger kirchlicher Auftrag ist.
Orban redet von der Verteidigung des Christentums …
Bischof Tamàs Fabiny: Ja, auch die Christdemokraten tun das immer wieder. Sie argumentieren mit der Bibel, aber oft ist das völlig willkürlich. Ich hebe dann gern den Finger und sage: Hier bin ich zuständig. Ein Beispiel: Ein Bürgermeister hat neulich bei einer Veranstaltung gesagt, ja, diese Flüchtlinge sind sehr gefährlich, wir müssen zusammenhalten und dürfen ihnen nicht auch noch die andere Wange hinhalten. In meiner Rede habe ich dem Bürgermeister erwidert: Wenn wir so handeln, dann sind wir nicht die Nachfolger Jesu. Denn Jesus hätte genau das getan: Auch die andere Wange hingehalten.
Wie reagieren Sie auf die Angst, das Abendland sei in Gefahr?
Bischof Tamàs Fabiny: Wenn mich jemand fragt: Herr Bischof, wo ist das christliche Europa geblieben? Dann antworte ich gerne: Liebe Frau, ich weiß, dass Sie nie in die Kirche gehen, ich weiß, dass Ihre Kinder nicht getauft sind. Statt sich mit der Angst vor dem Islam zu beschäftigen sollten die Menschen lieber ihren eigenen Glauben stärken oder erst mal (wieder)finden.
Bei aller Kritik: Gibt es auch Berührungspunkte zwischen der lutherischen Kirche und der Orban-Regierung?
Bischof Tamàs Fabiny: Ja, die gibt es in der Tat. Orbàn sagt, wir dürfen die Probleme nicht in unser Land lassen, sondern müssen direkt in den Krisengebieten vor Ort helfen, zum Beispiel im Irak. Hier gibt die ungarische Regierung tatsächlich viel Geld aus. Es ist ein Berührungspunkt, wo wir zusammenarbeiten können. Ich war selbst vor zwei Wochen in der Nähe von Mossul. Wir arbeiten dort mit dem Weltdienst vom LWB zusammen. Wir helfen dort natürlich allen Menschen in Not, nicht nur den Christen. Ganz im Sinne des LWB – und des Evangeliums.
LWB/Ralf-Uwe Beck und Solveig Grahl