„Die Zeiten der Gewalt gelangen an ein Ende, und die Nachkommen stehen vor den Ruinen und klagen und beten und beschließen, wieder aufzubauen, die verwüsteten Städte (zu) erneuern, die von Geschlecht zu Geschlecht zerstört gelegen haben’, wie es bei Jesaja heißt.“ Diese Sätze standen am Anfang der Predigt von Pfarrerin Elena Bondarenko beim Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Windhuk, Namibia. Genau das ist die Situation der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland, für die Pfarrerin Bondarenko arbeitet. Nach der Oktoberrevolution von 1917 sind die Lutheraner verfolgt und die Kirchen geschlossen worden. „Wir sind uns mit den Orthodoxen und den Katholiken einig, dass 1917 für die Kirchen ein tragisches Datum ist“, so Bondarenko.
Erst mit Gorbatschow und der Perestroika konnte sich langsam wieder ein Gemeindeleben entfalten. „Bis dahin hat unsere Kirche im Untergrund überlebt. Heute wachsen wir wieder.“ Erst seit 2010 sei die Situation stabil. Die Geschichten, wie Christinnen und Christen die Verfolgung überstanden haben, „sind ein wichtiger Samen für die Zukunft unserer Kirche“. Russlandweit hat die lutherische Kirche offiziell 75.000 Mitglieder in 15 Propsteien, elf im europäischen und vier im asiatischen Teil. Vorrangig gehe es jetzt darum, die Kirche wieder aufzubauen und die einst beschlagnahmten Kirchen und Gemeinderäume wieder zurückzubekommen.
Das ist für Bondarenko auch deshalb wichtig, weil es mittlerweile viele religiöse Gruppierungen gebe und die Lutheraner nicht in den Verdacht einer Sekte kommen wollen. Zur Aufarbeitung der Vergangenheit gehöre auch der Kontakt zu den Kirchen in den baltischen Staaten, die einst zur Sowjetunion gehört haben. „Hier können wir als Kirchen eine Brücke schlagen“, meint Bondarenko vor dem Hintergrund der politischen Spannungen zwischen diesen Ländern.
Die heutigen Menschenrechtsfragen in Russland sind für die lutherische Kirche allerdings kein Thema. „Vielleicht ist das egoistisch, aber für uns ist es heute das Richtige. Zuerst müssen wir unsere Kirche wieder aufbauen.“ Bondarenko fürchtet, ihre Kirche könne die Menschen wieder verlieren, wenn sie sich in politische Dinge einmischt. Allerdings setzt die Kirche auf diakonische Arbeit. So kümmert sie sich um Obdachlose, um Senioren und um Waisenkinder. Es gehe darum, beispielsweise die Heime menschlicher zu machen. „Das kann nur Kirche, der Staat ist eine kalte Maschine“, betont sie.
Angesprochen darauf, ob die Kontakte nach Lettland auch genutzt würden, um über die Frauenordination zu sprechen, die von der Lettischen Kirche abgelehnt wird, antwortet die Pfarrerin: „Es ist wichtig, dass die Lettische Kirche im LWB nicht isoliert wird. Wir müssen den Kontakt halten. Vielleicht ändern sie ihre Meinung wieder. Wir gehen zum selben Abendmahl, das Wichtigste ist das eine Evangelium für alle.“
LWB/Ralf-Uwe Beck & Solveig Grahl